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Religion und Lifestyle – Quo vadis Veganismus?

© Maridav @ shutterstock.com

„Du bist, was Du isst“ und „Ich weiß, dass ich nicht weiß“

Zwei Sätze, der erste definitiv, der zweite stürzt einen in die Relativität. Dazwischen liegt das Feld des Glaubens. Die Gesellschaft für innovative Marktforschung (GIM) in Heidelberg hat dieses Feld abgeschritten, den Konsumtrend Veganismus erforscht und dabei einen Typus entdeckt, den man als den „Lifestyle-Veganer“ bezeichnen könnte.

Auf der Basis einer ausgiebigen „Netnographie“, also der Analyse von Inhalten des Internet, sowie Experteninterviews und Feldstudien, wurde im März 2014 eine Kartierung der veganen Landschaft veröffentlicht. Die bisher prägenden Vollzeitveganer mit den ethischen und naturbezogenen Überzeugungen Tierschutz, Umweltschutz und Konsumkritik seien vor allem durch ein „über-individuelles Motiv“ geleitet worden. Und haben das Thema Veganismus stark voran gebracht. Dabei hätten sie jedoch auch immer wieder polarisiert und sich abgegrenzt. Die Studie zeigt nun, dass der ideologische Veganer durch eine zweite Gruppe ergänzt wird. Julia Eymann, Studienleiterin bei der GIM: „Häufig wird in Bezug auf Veganer von einer Minigruppe geredet. Die Gruppe sei irrelevant. Was aber dabei und auch in den quantitativen Studien nicht berücksichtigt wird, ist die große und größer werdende Gruppe der Lifestyle–Veganer, die sich oft auch nur in Teilzeit vegan ernähren. Sie werden nicht richtig erfasst.”

Der Lifestyle-Veganer ist nicht 100-prozentig konsequent. Für ihn stehen einige andere Werte im Vordergrund:

Das hat Folgen. Gesellschaftlich und für den Markt:

„Unter den Veganern haben sich unterschiedliche Teilzeit-Modelle verbreitet, die alle eines gemeinsam haben, man muss NICHT 100% vegan leben, um 100% des veganen Lifestyles zu empfinden!“ Als Beispiel nennt die Studie:

Hier ist anzumerken, dass die Studie diese Konsumtendenzen nicht empirisch-quantitativ erforscht hat. Entsprechend bietet sie keine Vollständigkeit oder Bevölkerungsrepräsentativität. Dennoch bildet sie die momentane Veganerszene in Deutschland ab und bietet Interpretationsansätze.

„Durch den Wegfall von Religion sind immer mehr Menschen auf sich selbst zurückgeworfen“, heißt  es in der Studie. Eigenverantwortung für Gesundheit und Körper sei von zentraler Bedeutung. Durch die Medien missioniert und aufgegangen in einer Gemeinde Gleichdenkender sei Veganismus der Studie nach zu einer Ersatzreligion geworden. Diese werde bei jedem Einkauf und jeder Mahlzeit „zelebriert“. Damit stifte Veganismus Sinn und Struktur – und eine Art Heilsversprechen durch ethisch und sozial korrekte Lebensweise.

Das ist historisch nachvollziehbar, denn Ernährung dient seit jeher als Identifikationsmerkmal und spirituelles Ritual. Insbesondere der Fleischkonsum spielte dabei immer wieder eine symbolische Rolle. Thora und Altes Testament definieren schon in der Genesis den Fleischkonsum als etwas Besonderes. In der Wüste zur Völkerwanderungszeit wurde Fleisch zum Opfer, zum Schatz, und ging so in die christlichen Sakramente und jüdischen Speisegesetze ein. Seit Jesus sich Karfreitag am Kreuz opferte, war der Freitag als fleischloser Tag geboren. Warmblüter zu verspeisen war über lange Zeit freitags ein Sakrileg.

Die Bedeutung des Tieres ist für die neuen Lifestyle-Veganer laut der GIM-Studie nun weniger zentral

Zutreffender seien Bekenntnisse wie: „Durch die vegane Ernährung ist meine Akne vollständig verschwunden. Das war ein unglaubliches Erlebnis. Ich weiß jetzt wie ich mir selbst helfen kann und brauche keinen Arzt.“ Systematische Auseinandersetzung mit den Hintergründen von Konsumentscheidungen ermögliche einen Gewinn an Offenheit und Kreativität. Die Entscheidung für die Lebensvariante „vegan“ ist eine für mehr Freiheit: Sie reduziert Komplexität der Entscheidung, erschließt neue Erfahrungen, neue Vielfalt und helfen dabei, auch im sozialen Kontext selbstbestimmt eigene Präferenzen zu leben.

“#Vegane Trends: Mit Offenheit und dogmatischer Flexibilität rückt #Veganismus Richtung Mainstream “

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Aktionen, initiiert von berühmten Veganern, werden mittlerweile in den Spezialgeschäften zu Kassenschlagern mit eigenen Aktionstischen. Starter-Sets mit Kochbuch. Gerichte werden nachgekocht und von eigenen Fortschritten in Social Media berichtet. Der ideale Einstieg, ohne Hürden und mit Erfolgsgarantie.

Lifestyle-Veganer wollen häufig nicht durch theoretische Argumente überzeugen, sondern durch die Darstellung ihrer eigenen Selbstoptimierung

Dabei wird die Überprüfbarkeit häufig unter den Tisch fallen gelassen und sehr subjektives „Marketing“ betrieben. „Ich schlafe weniger, wiege weniger, bin schöner, entspannter, habe glattere Haut und volleres Haar, bin nicht mehr krank.“ Food Hauls sind Produktberichte in Social Media, Blogs und Videos. Junge Trendsetter testen und bewerten neue Produkte und Läden. Dabei ist das Publikum sehr kritisch. Wenn Produkte jedoch gefallen, empfehlen sie diese euphorisch weiter. „Ich glaube, dass jetzt noch ein größerer Schub kommt“, sagt Eymann zur Studie. „Auf Herstellerseite wächst das Interesse. Auch für unsere Studie haben sich neben Lebensmittelherstellern vor allem Medien, öffentliche Einrichtungen und Stiftungen interessiert.” 

Den Herstellern und Werbenden empfiehlt die Studie die gezielte Ansprache von Veganern durch Rezepte und Gesundheitstipps, Präsenz in den Social Media, Werbesports vor veganen YouTube-Videos und die Kooperation mit Bloggern und Vloggern und bei Produkttests. Neue und ausgefallene Produkte können die Aufmerksamkeit erhöhen.

„Hinter der neuen Veganer-Generation stecken Konsumenten, denen hedonistische und pragmatische Werte weitaus wichtiger sind als weltanschauliche Motive“, so die Studie.  Julia Eymann rechnet damit, dass sich veganes Leben langfristig etablieren wird. Insbesondere Teilzeitvegananismus wird wichtig, mit Regelungen wie ‘Vegan nur zu Hause vegan, aber unterwegs ist eine Pizza mit Käse okay, um mir das Leben nicht zu schwer zu machen‘. Gleiches gilt für die Restaurantszene, die zunehmend Mischangebote aufnehmen werde.”